PFLEGEPOLITISCHE FORDERUNGEN DES BKSB

ERWARTUNGEN AN DIE NEUE BUNDESREGIERUNG UND DEN NEUEN BUNDESTAG

BUNDESKONGRESS 11.11.2021

Prof. Dr. jur. Alexander Schraml
1. Vorsitzender BKSB

FRAGEN – PROBLEME – HERAUSFORDERUNGEN

  • Die Altenhilfe –insb. die Pflege -muss ein zentrales und dringendes Thema der nächsten Legislaturperiode sein!
  • Gesetzgebungsverfahren bedürfen eines angemessenen Zeitrahmens und einer intensiven Einbindung der Verbände der Leistungserbinger.
  • Es bedarf eines Konsenses hinsichtlich der Finanzierung:
    • Wer zahlt wann wieviel wofür warum?
    • Versicherter/Pflegebedürftiger? Angehörige?
    • Bund? Länder?Sozialhilfeträger?
  • Pflegeeinrichtungen brauchen qualifiziertes Personal, nicht nur Fachkräfte und nicht nur Pflegekräfte!
  • Bürokratie und Kontrolle müssen auf ein notwendiges Mindestmaß reduziert werden!
  • Bund und Länder müssen sich abstimmen!

Heute dazu Anregungen-Anstöße-Ideen!

FINANZIERUNG

  • Pflegebedürftigkeit führt in zunehmendem Maße zur Sozialhilfebedürftigkeit.
  • Vor allem die stationäre Pflege wird für viele Bewohner/innen auf Dauer nicht mehr bezahlbar.
  • Mindestens ein Drittel der Bewohner/innen sind auf Sozialhilfe angewiesen, in vielen Regionen (vor allem in Großstädten) sogar mehr als die Hälfte.
  • Die ursprüngliche Intention bei der Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1995 tritt immer mehr in den Hintergrund.
  • Die Inanspruchnahme von Sozialhilfe im Alter ist für viele Betroffene entwürdigend; hinzukommt die (rein formal irrelevante) Sorge, den Angehörigen nichts mehr vererben zu können.
  • Die sog. Pflegereform hat versucht, diesem Missstand mit den Zuschüssen zum pflegedingten Eigenanteil zu begegnen.
  • Die Situation wird sich angesichts steigender Personal-, Bau-, Energie-Lebensmittelkosten noch erheblich verschärfen.
    • Kostensteigerungen dürfen nicht zu Lasten des Pflegebedürftigen gehen, es bedarf einer berechenbaren finanziellen Belastung im Pflegefall („Sockel-Spitze-Tausch“)
    • Die Anhebung der Pflegeversicherungsbeiträge darf kein Tabu sein! Aber bei sozial, finanziell schwachen oder kinderreichen Beitragspflichtigen muss der Staat durch steuerliche Entlastungen oder Zuschüsse eingreifen.
    • Bund und Länder müssen die Rechtsgrundlagen für eine verlässliche (anteilige) Investitionskostenförderung schaffen; einer objektbezogenen Förderung ist der Vorrang einzuräumen, da auf diese Weise qualitätsorientiert und nachhaltig (insb. auch ökologisch) gesteuert werden kann

Drei Säulen der Finanzierung:

  • Pflege: Pflegekasse (mit gedeckelter Zuzahlung des Pflegebedürftigen)
  • Unterkunft und Verpflegung: Bewohner/in
  • Investitionskosten: Staat (mit Zuzahlung des Pflegebedürftigen)

PERSONAL

  • Das Personalbemessungsverfahren muss baldmöglichst unter Beteiligung der Verbände eingeführt und umgesetzt werden; der Status quo ist dabei unbedingt zu erhalten.
  • Die Bundesagentur für Arbeit hat die Anwerbung ausländischer Pflegekräfte (nicht nur Fachkräfte!) unentgeltlich (maximal Aufwandsentschädigung) zu unterstützen und zu fördern; bürokratische Hürden für die Einreise und die Anerkennung der Berufsabschlüsse sind umgehend abzubauen.
  • Arbeitnehmerüberlassung von Pflegekräften durch Personalagenturen („Leiharbeit“) muss untersagt werden; dadurch Personalkosten mehr als das Doppelte; „Sonderrechte“ für Leih-AN, Unmut bei eigenem Personal; Stammpersonal wird ausgedünnt, Verantwortung für das Pflegeheim und seine Bewohner/innen nimmt ab, Pflegeeinrichtungen werden erpressbar. Personalagenturen nutzen die Mangelsituation schamlos aus. Ausnahme: konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung oder Gemeinschaftsbetriebe
  • Die Pflegeausbildung wurde reformiert –weitgehend zufriedenstellend! Es bleiben aber in einzelnen Bundesländern unnötige bürokratische Hürden. Äußerst schwierig bleibt weiterhin die Gründung neuer Pflegeschulen;
    • hierfür bedarf es einer umfassenden behördlichen Beratung. Bundesweit hierzu auf rechtlich sichere Beine gestellt werden muss auch die Investitionskostenförderung.
    • Und es fehlt vielen Ortes an hinreichend ausgebildetem Pflegepersonal.
  • Die Konkurrenzsituation mit Kliniken wurde durch den Bundesgesetzgeber einseitig zu Lasten der Pflegeheime verschlechtert! Kliniken bekommen über das Pflegebudget den gesamten Personalaufwand in der Pflege –unabhängig von Beschäftigtenzahl und Gehaltshöhe –finanziert.

VERANTWORTUNG FÜR DIE SCHAFFUNG VON PFLEGEEINRICHTUNGEN

  • Verantwortlich für die Schaffung von Pflegeeinrichtungen sind gemäß SGB XI primär die Pflegekassen; sie erhalten über Jahrzehnte hinweg von den Versicherten Beiträge –
    • um dann im Fall der Pflegebedürftigkeit den Sachleistungsanspruch nicht erfüllen zu können; die Pflegeeinrichtungen sind gemäß Versorgungsvertrag nur „Subunternehmer“
    • Aber: Die Pflegekassen werden es nicht schaffen, die Ansprüche zu erfüllen! Dennoch: Dieses Versagen muss der Öffentlichkeit und der Politik bewusst gemacht werden!
  • Daher muss die Stellung der Kommunen (Landkreise, kreisfreie Städte) gestärkt werden! Seniorenpolitische Gesamtkonzepte bzw. Pflegebedarfsplanungen müssen verbindlich werden und ggf. auch einen Anspruch auf Investitionsförderung begründen (wie bei Krankenhäusern). Und im Kommunalrecht muss die Schaffung der erforderlichen Pflegeeinrichtungen als Pflichtaufgabe der Kommune verankert werden.
  • Aber einklagbare Ansprüche auf einen Pflegeplatz allenfalls gegen die Pflegekassen, nicht gegen die Kommunen!
  • Und auch der falsch interpretierte Subsidiaritätsgrundsatz zugunsten der Freien Wohlfahrtspflege muss mit einer Klarstellung des Bundesgesetzgebers zurechtgerückt werden! Die Verpflichtung zur kommunalen Daseinsvorsorge ist zumindest gleichrangig. Und nur Kommunen sind verpflichtet, diese kommunale Daseinsvorsorge zu garantieren. Gleichwohl ist natürlich ein Konsens mit den Wohlfahrtsverbänden und deren gemeinnützigen Pflegeeinrichtungen anzustreben.

HEIMVERTRAG

  • Das Heimrecht–also Regelungen im Wohn-und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG)sowie im SGB XI benötigt dringend der Reform, gerichtliche Entscheidungen zu Lasten der Pflegeheime muss der Gesetzgeber korrigieren.
  • Platz-und Reservierungsgebühr muss –ohne Anwendung besonderer rechtlicher Konstruktionen -zulässig sein; das Urteil des BGH muss vom Gesetzgeber korrigiert werden.
  • Das gleiche gilt für das Urteil zur Entlassung im Sinne des §87 a Abs. 1 Satz 2 SGB XI; die Begrifflichkeit ist eine Missachtung unserer Bewohner/innen, sie werden nicht entlassen, allenfalls endet der Heimvertrag! Verträge enden im deutschen Zivilrecht in der Regel nicht mit Handlungen, sondern mit Willenserklärungen.
  • Der Heimvertrag darf nicht mit dem Tod enden!
    • Dies widerspricht den allgemeinen Grundsätzen unserer Rechtsordnung bei Dauerschuldverhältnissen;
    • unsinnige Folge ist eine Belastung des Pflegebedürftigen zu Lebzeiten (geringere Belegung des Pflegeheims) und eine Entlastung der Erben;
    • und schließlich ist es eine Aufforderung zur Pietätlosigkeit, da das Zimmer noch am selben Tag geräumt werden muss (müsste…).
  • Die übertrieben bewohnerfreundlichen und komplizierten Kündigungsregelungensind auf ein vernünftiges Maß zu reduzieren! Verbraucherschutz hat seine Grenzen!
  • Das Verbot der Sicherheitsleistung im SGBXI-Bereich muss aufgehoben werden! Aufgrund zeitlicher Verzögerungen bleiben Pflegeheime nicht selten auf offenen Rechnungen sitzen, wenn ein Bewohner sozialhilfebedürftig ist bzw. wird; hierfür bedarf es Sicherheiten.
  • Die gesetzlichen Anforderungen an Heimverträge müssen entrümpelt werden! Die Heimverträge liest niemand, versteht niemand und sie sind in den seltensten Fällen Gegenstand rechtlicher Auseinandersetzungen.

GEMEINNÜTZIGKEIT

  • Es muss unterbunden werden, dass Pflegeeinrichtungen Gewinne an Gesellschafter oder Aktionäre ausschütten!
  • Das GKV-Pflegesystem ist mit Pflichtbeiträgen finanziert; diese dürfen auch für das Pflegesystem genutzt werden.
  • Gewinne sind selbstverständlich sinnvoll und notwendig. Aber sie müssen wieder der Pflegeeinrichtung und damit den Pflegebedürftigen zugute kommen.
  • Dies garantiert §§51ff der Abgabenordnung (AO)(steuerbegünstigte Zwecke –„Gemeinnützigkeit“).
  • Daher dürfen Versorgungsverträge nur mit Trägern geschlossen werden, die als steuerbegünstigt im Sinne der §§51 ff AO anerkannt sind
  • Das bedeutet keinen Ausschluss privater Träger; auch diese können „gemeinnützig“ sein!
  • Und unterbunden werden muss auch die Möglichkeit, mit der Verpachtung von Pflegeimmobilien Gewinne zu erzielen, die über die üblichen Renditen hinausgehen -Pflegeheime sind Sozialimmobilien!

QUALITÄTSPRÜFUNGEN

  • Das System der Qualitätsprüfung auf Bundes-und Landesebene muss auf den Prüfstand gestellt werden!
  • Das QPR-Systemführt zu einem bürokratischen patientenfernen Aufwand, der in diesem Umfang nicht gerechtfertigt ist.
  • Beratung im Rahmen von Kontrolle und Prüfung kann nicht zum Ziel führen!
  • Das umfassende und komplexe Prüfsystem entzieht den Pflegeeinrichtungen Pflegepersonal und bindet somit Personalkapazität, die bei der Pflege dringend benötigt.
  • Es darf bei SGBXI-Einrichtungen keine Doppelprüfungen durch den Medizinischen Dienst und die „Heimaufsicht“ der Länder geben.
  • Der Fokus ist vorrangig auf die Ergebnisqualität zu legen; Struktur und Organisation gehört in den weiten Gestaltungsspielraum der Führungskräfte, die diesen verantwortungsbewusst nutzen -und das schließlich auch gelernt haben.
  • „Schwarzen Schafen“, die sich nicht selten bei privaten nicht gemeinnützigen Trägern finden, muss mit der ganzen Härte begegnet werden!
    • Hierfür sind auf Bundes-und Landesebene die nötigen gesetzlichen Änderungen vorzunehmen!
    • Der übliche Reflex „Skandal –Verschärfungen für alle“ muss unterbunden werden! Keine Sippenhaft! Kein Generalverdacht!
  • Die Kontrollwut muss auch deshalb begrenzt werden, um Pflegekräften wieder Freude am Beruf zu vermitteln.
    • Auf der einen Seite werden Pflegekräfte (völlig undifferenziert und populistisch) als Helden gefeiert, auf der anderen Seite begegnet man ihnen mit ausufernden Prüfungen mit maximalem Misstrauen.
    • Und außerdem sollen gut ausgebildete Pflegefachkräfte sich nicht um Kontrolle, sondern um Pflege kümmern.

LEISTUNGSUMFANG IM PFLEGEHEIM

  • Der Leistungsumfang bei Pflegeheimen muss erweitert werden!
  • Im Krankenhauserhält der/die Patient/in eine Full-Service-Leistung.
  • Im Pflegeheim, wo nahezu alle Bewohner/innen ärztliche Behandlung und Medikamente erhalten, muss sich der/der Bewohner/in um alles selber kümmern. Und das, obwohl dort Menschen leben, die aufgrund des fortgeschrittenen Alters Schwierigkeiten haben, das Gesundheits-und Pflegesystem zu verstehen.
  • Feste Zuweisung von Heim-Hausärzten und Heim-Apothekenmit einem vereinfachten Abrechnungsweg sind dringend nötig!
  • Integriert werden müssen –zumindest in der Kurzzeitpflege –physiotherapeutische Leistung, so dass die Zeit bis zur (geriatrischen) Reha sinnvollgenutzt oder sogar mit einer „Reha light“ im Pflegeheimeine Reha-Maßnahme verhindert werden kann.

ALTERNATIVE WOHNFORMEN

  • Alternative Wohnformen (insb. ambulant betreute Wohngemeinschaften) haben bereits Eingang ins SGB XI und in das Heimrecht der Bundesländer gefunden.
  • Allerdings ist die Ausgestaltung rechtlich äußerst kompliziert. Die notwendigen Vertragskonstruktionen sind für Betroffene nicht nachvollziehbar.
  • Sowohl bundes- als auch landesrechtlich bedarf es hier dringend einer Entbürokratisierung.

KEIN MISSBRAUCH AUSLÄNDISCHER HILFSKRÄFTE!

  • Das Urteil zu den ausländischen Hilfskräften im Haushalt (24-Stunden-Kräfte) muss trotz der drohenden Versorgungsengpässe umgesetzt werden!
    • Der Staat akzeptiert(e) einerseits bewusst vorsätzliche Verstöße gegen Mindestlohngesetz und Arbeitszeitregelungen, er nimmt mangelnde Versorgungsqualität in Kauf und tolerierte damit einen „modernen Sklavenhandel“.
    • Andererseits stellt er bei Pflegeeinrichtungen (zu Recht) hohe Anforderungen an den Schutz der Arbeitnehmer/innen.

ES BESTEHT DRINGENDER HANDLUNGSBEDARF.